"[ ]"( 2 Definitionen)

Liebe Kunstfreunde,
liebe Christel,

Bereits mehrfach hatte ich das Vergnügen in die Arbeiten von Christel Koerdt einzuführen. Das heutige Werk vor Augen erinnere ich mich an eine Ausstellung, bei der es um "lose Worte" ging. In chaotisch wirkender, scheinbar ungeordneter Anhäufung bildete eine kaum übersehbare Menge von Buchstaben eine leserlich nicht zu durchdringende Mauer – einen schlecht zu entziffernden Wortschwall bzw. Wortwall. Ihrer nie versiegenden Leidenschaft für das Wort, die Schrift, die Sprache folgend, setzt sich die Künstlerin in ihrer Arbeit immer wieder von neuem den Spannungen verschiedener Materialerfahrungen und daraus aufkeimender neuer Gestaltungsformen aus. Mit ihrer Auswahl von Texten, Worten, Sätzen reagiert Christel Koerdt auf Lektürewahrnehmungen, die dann - wie z.B. die Headlines der Wochenzeitung "Die Zeit" oder wie Jean-Paul Sartres biographischer Roman "Les mots / Die Wörter", oder auch wie soeben in der parallel laufenden Ausstellung in der Bochumer Galerie Januar "Zitate" aus literarischen oder philosophischen Schriften von ihr in andere ästhetischen Sprachformen transformiert werden. (Bsp.: "Stichworte", "Das Fleisch der Wörter".

Dort – in der Galerie Januar, deren Besuch ich Ihnen empfehlen möchte - wie auch hier im Halfmannshof finden sich signifikante Beispiele von CKs künstle-rischen Strategie: Dieses kontinuierliche und konsequente, handwerklich mühe-volle, zeitintensive Abarbeiten von Buchstabe zu Buchstabe, um letztendlich der Metaphorik des Geschriebenen eine neue künstlerische Artikulationsform zu verleihen, eben indem CK den Text verschleiert, verschlüsselt, die Lektüre geradezu unmöglich macht. Christel Koerdt geht es um die Schaffung eines visuellen Erlebnisses, die Kreierung eines Erlebnisraumes.

Mit ihrem ausgeprägten Gespür für den Assoziationsgehalt und die Metaphorik der gefundenen literarischen Notate lotet sie die künstlerischen Möglichkeiten einer bildnerisch-plastischen Transformation, einer sinnhaft, sinnlichen Gestal-tung aus.

Heute geht es - wie wir sehen - um eingezwängte Worte, fixiert und gefestigt in Schraubzwingen, damit sie, bzw. ihre Syntax und Semantik, nicht auseinanderfallen. Die 48 verwendeten Schraubzwingen – je Wort eine – sind selbst schon ein metaphorischer Ausdruck für die Art der Worte, die hier vor uns präsentiert sind: es handelt sich um eine lexikalische Definition von. Ja, wer kann es entziffern, das erste, etwas abseits liegende erste Wort: Nun ja, es geht um Sprache, so wie sie der Brockhaus in einer Ausgabe der 1960er Jahre in über 600 Buchstaben erklärt. (Zitat Sprache)

Christel Koerdt hat Buchstabe für Buchstabe aus Pappwabenplatten ausgesägt und diese in die Schraubzwingen eingezwängt. ( Schrift allein bedeutet ja schon Festhalten von Sprache.) Selbst die Punkte der Umlaute wurden einzeln ausge-sägt und mit in die Reihung der Buchstaben eingezwängt. Nur mit Mühe, d.h. nur bruchstückhaft apperzipierbar, lässt sich Letter für Letter entziffern. Will die Künstlerin uns womöglich das in der medizinischen Diagnostik bekannte Phänomen der Alexie vorführen, diese Unfähigkeit Geschriebenes zu lesen bzw. Gelesenes zu verstehen trotz intakten Sehvermögens? Nein, Christel Koerdt, die sich in ihrer künstlerischen Arbeit seit Beginn der 1990er Jahre in verschiedenen Materialien mit Texten, Typographie und typographie-ähnlichen Kommunikations-systemen in Form von Objekten und Rauminstallationen auseinandersetzt, adressiert ihr Werk weniger an einen Leser, sondern eher an einen Betrachter. Dieser schließ-lich sieht vor sich ein skulpturales Werk, eine sich über mehrere Meter erstreckende raumfüllende Installation, die nicht nur ästhetische Wirkung entfaltet, sondern auch Hintersinn besitzt.

CK gehört damit in die Gattung der Sprachbildhauer – wie z.B. auch der amerika-nische Künstler Lawrence Weiner. Ebenso wie dieser schafft auch CK mit unterschiedlichem sprachlichem Material textuale Skulpturen Ihr sprachliches Material kann – wie vielleicht manche von Ihnen wissen - auch die rätselhaft und in ihren zauberhaften Gebilden gleichsam faszinierende Häkelsprache sein. CK stellt sich stets den Herausforderungen und Möglichkeiten der Ausstellungsräume und schafft für jeden Raum immer neue Arbeiten, nimmt auf die räumlichen Gegebenheiten Bezug, verknüpft Werk und Architektur.

Für den Halfmannshof hat sie zwei Arbeiten geschaffen, die auf faszinierende, sich gegenseitig bestätigende Art miteinander korrespondieren. Eine sich durch den ganz Raum erstreckende Bodenarbeit mit großformatigen Pappbuchstaben zur Definition von Sprache und eine rätselhafte Wandarbeit. Hier ist esdie in einer Grundlehre zur typographischen Gestaltung gefundene Erklärung zu den Begrif-fen Buchstaben, Wörter und Zeile, die sie auf schwarzer PVC Folie ausgedruckt und damit einen 19m langen Wandfries geschaffen hat, der – man ahnt es mehr, als dass man es wirklich erkennen kann – sich aus den übereinander geklebten drei Begriffs-Erläuterungen zusammensetzt. Als informelles graphisches Gebilde besitzt diese Wandarbeit einen eigenen ästhetischen Reiz, der auch unabhängig der schriftlichen Vorgabe bestehen bleibt.

Wie schon mit der Rauminstallation der Pappbuchstaben bietet uns CK auch in ihrer Wandarbeit keine Möglichkeit zu einem Lesefluss und verdeutlicht damit die Komplexität des Phänomens Sprache und seiner einzelnen Bausteine. Sprache ist nicht nur ein strukturiertes System von Zeichen und ein internalisiertes System von Regeln, sondern immer auch ein Werkzeug des Denkens, ein Ausdruck von Gedanken und Gefühlen, die manchmal über uns einstürzen und zwar nicht linear, sondern als kaum entwirrbarer Wust, als ein Durcheinander, als eine ungeordnete Menge.

Denn – und mit einem Zitat Nietzsches, das als Maxime für Koerdts künstlerisches Werkschaffen gelesen werden kann, möchte ich schließen:
"Durch Worte und Begriffe werden wir immer wieder verführt, die Dinge uns einfacher zu denken als sie sind."

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen gute Gespräche.

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